kalifornien ist eine reise wert. der amerikanische westküstenstaat ist bekannt für seine filmindustrie, das gute wetter und seine typisch amerikanische surfkultur. schon in den späten 1950er jahren wurde hier das surfen traditionell besonders lang ausgeführter holzbretter zum massensport. gefolgt vom surfgerät für die strassen kalifornischer vorstädte, dem skateboard, das in diesem jahr 50 wird und zum zeitpunkt seiner entstehung dem heutigen longboard sehr nahe kam.
die beiden berliner annette bruns und oliver spies sind LANGBRETT klubmitglieder der ersten stunde und arbeiten als farbdesigner für die industrie. sie begaben sich im frühjahr 2011 mit ihren longboards auf einer ihrer „recherchereisen“ nach kalifornien, um vor ort bestehende farbtrends zu erkunden und damit die kultur des sonnenstaates besser kennenzulernen. klingt komisch, ist es auch, sorgt aber für gesprächsstoff. und immerhin schien es dem fernsehsender 3sat interessant genug, ein kamerateam hinter den beiden herzuschicken, um daraus eine 2-teilige prime-time-dokumentation für den 1. adventabend herzustellen: „die asphaltsurfer“.
7 wochen dauerte die reise und ihre route führte sie von los angeles über malibu und ventura entlang der küste bis nach santa cruz und san francisco. von dort ging es quer durch land und wüste nach palm springs, weiter nach san diego und wieder richtung los angeles.
was die fernsehkamera nicht zu sehen bekam, erfahren wir bei einem blick in ihre reisenotizen…
schönes wetter. endlich!
der glatt betonierte strandweg von venice über santa monica führt fast bis nach malibu. dort treffen wir unseren freund ludo mit seiner familie. er ist schuhdesigner und wir dürfen bei ihm übernachten.
und auch das team der produktionsfirma monstamovies ist zufrieden, die ersten romantischen aufnahmen sind schon im kasten. annette und ich auf dem highway der untergehenden sonne entgegen. wie im film.
fast wie urlaub: morgensurf mit ludo und freunden in der nachbarschaft am point dume, einem für die prominenten anwohner reservierten strandabschnitt, den wir über eine steile treppe durch ein überdimensioniertes metalltor erreichen. man bezahlt monatlich für den „gelben schlüssel“, der einem den zugang zu einigen exklusiven pointbreaks und dem leeren lineup mit blick auf den malibu-pier ermöglicht. am anfang finden wir das unsozial. nachher spitze.
wir treffen john stockwell, der gerade vom surfen kommt uns von seinem neuen film „dark tide“ erzählt. und wir erfahren, dass „laird“ hier öfter mal mit dem sup abhängt. an der treppe zu seinem haus stehen ca. 20 davon.
die boardbags sind warm, trocken und bequem. nur draussen ist alles kalt und vom nebel ganz nass. kurzer morgensurf im hüfthohen beachbreak, -dann weiter richtung ventura…
eine rechte nach der anderen. konstant machbare wellenhöhe, lange fahrten bis zur strand-treppe. wenn ich auswandern möchte, dann hierher.
annette will in die berge. nach ojai (gesprochen: ohai). das liegt nördlich von los angeles. ein kleines, verschlafenes, für seine zahlreichen yoga-studios, meditationszentren und bioläden bekanntes nest. schon bei unserer letzten tour stand es auf dem plan, -nur wegen der guten surfbedingungen im tal konnte ich die fahrt ins landesinnere damals abwenden. jetzt bin ich reif, muss los. vielleicht wird es ja nicht sooo schlimm.
was für eine schande, an einen so schönen ort, diese extrem laute schnellstrasse zu bauen. für uns und unsere vehikel natürlich toll. obwohl es schon etwas unheimlich ist. manche autos und lkws rasen mit bestimmt 100 sachen an uns vorbei. und die polizei schaut auch meistens ziemlich verdutzt, wenn sie uns sieht. darf man das hier eigentlich? skateboarden ist auf der strasse ja verboten. wir sind aber ein gespann, sollte also kein problem sein. denken wir. wir überlegen uns vorsorglich schon mal einen vorrat guter argumente.
santa cruz, steamer lane
die strecke vor santa cruz zieht sich. berg hoch, berg runter, wieder hoch… serpentinen. der forecast war gut. aber viel zu spät kommen wir an. santa cruz an einem der besten tage, die wir je gesehen haben. es wird schon dunkel. einige surfer kommen uns entgegen. nass und mit erfüllter miene. dann geht das licht an, im leuchtturm, den wir bisher nur von contest-übertragungen kannten. „kannst du vergessen“ , sagt annette. wir essen noch einen gourmet-burrito im ort bei planet fresh. lecker. müde, schlafen.
annette kann- und ich will nicht mehr. zugfahren wäre eine prima alternative, schliesslich gibt es den „surfliner“, einen zug, der die küste entlangfährt. haben wir in ventura gesehen. spotcheck per amtrack. let´s go.
fehlanzeige. der sogenannte „surfliner“ endet im nirgendwo bei san luis obispo. warum fährt der nicht bis san francisco? komisch.
san francisco
oh no. jetzt sind wir 2 wochen gerollert und nun herrschen hier in san francisco nordsee-bedingungen. nicht so schön aber besser als nichts. gestern abend lief´s an der golden gate richtig gut. annette ist grössenwahnsinnig. sie hat tatsächlich überlegt, ob sie dort reingeht. felsen, strömung, no go! ich hatte bemerkt, dass joe curren neben uns stand. sie sprach ihn an, ob das wohl geeignete wellen für uns seien. oh mann, hat die denn nicht erkannt wer das ist, oder was? …schwätzchen. egal. heute ist ein neuer tag, neues glück.
auf dem weg zum mollusk-surfshop ist uns vorhin ein umgebautes auto aufgefallen. eindeutig die bretterkiste von jay nelson, dem kerl, der durch seine baumhäuser berühmt geworden ist. und der künstler ist sogar anwesend, diskutiert mit dem nachbarn. den trifft man hier also einfach so. oli rennt natürlich hin…
das licht am frühen morgen ist in san francisco weisser als unten im süden. die dünen am strand vor dem stadtteil outer sunset sind mit ihren mulden perfekt, um illegal zu campieren. wir packen unsere sachen für die kamera extra langsam ein und jay nelson tut sehr professionell so, hätte er uns „zufällig“ am strand getroffen.
jay hat sich in den vergangenen jahren zum begehrten künstler hochgearbeitet. bekannt ist er neben seinen baumhäusern vor allem für die kuriosen, aus kleinen holzstücken zusammengesetzten vehikel geworden. viele kann man sogar benutzen. im mollusk-surfshop nebenan steht eines der geräte. ich hab vorhin mal eine „testrunde“ gedreht. irgendwas hat laut geknackt. hat zum glück keiner gemerkt….
jay erzählt uns noch von „outerlands“ dem restaurant seines nachbarn. wir haben hunger, fahren mit dem fahrrad hin. joe curren steht vor der tür, erkennt annette und spricht sie an. spinn ich?
palm springs
noch ein paar kilometer bis palm springs… der gegenwind ist die hölle. fahren wir überhaupt noch vorwärts? denke daran, den produktionsbus anzurufen, und um mitfahrt zu bitten. ausserdem ist es schweinekalt. für die jahreszeit etwas ungewöhnlich, aber eigentlich bin ich froh drum. wir vertreiben uns die zeit mit sinnlosen überholmanövern. ich schaffe es, mehrmals extrem langsam an oli vorbeizuziehen. er verzieht keine miene.
lutz (der regisseur) meint, die 3000 windräder in der wüste vor palm springs produzieren halb so viel strom wie ein akw. im moment bestimmt mehr. sandsturm in die falsche richtung. ich kann nicht mehr, aber annette macht tempo…
waren heute bei unserer freundin stefanie schneider zu besuch. sie hat uns fotografiert! ist das nun wohl kunst geworden? nachmittags kam daisy mc crackin vorbei und hat uns am kaminfeuer von ihrer neuen platte vorgesungen. da wurde mir gleich ganz warm ums herz.
es ist kalt, ich will ans meer. die strecke nach san diego müssen wir also auf jeden fall pfuschen. aber die amtrak-website sagt: kein brett-transport im zug. und ich sag noch: bloss nicht ins internet. wir hätten einfach nicht nachschauen dürfen.
„surfliner“ heisst nämlich nicht, dass man offiziell mit dem surfbrett mitfahren darf. gepäckgrössenbegrenzung. 2m oder so. wer hat schon ein 2m longboard? probieren geht aber über studieren. eine der sachen, die man hier halt einfach machen muss. wenn man´s weiss.
sitzt man erstmal drin, ist´s wie im first-class-flieger. grosse sitze, guter service. wir fragen die schaffnerin, wo die zweite klasse sei. es gibt nur diese hier, sagt sie. na gut, sag ich.
san diego
heute haben wir max capps getroffen. an einem extrem steilen berg in einer wohnsiedlung raste er plötzlich mit einem affenzahn an uns vorbei. uns wird schnell klar, warum: weil es neben der strasse eine geschwindigkeitsanzeige gibt. er will irgendsoeinen rekord brechen, meinte er. verrückt. wir haben uns noch mit ihm unterhalten und erfahren, dass er für seine karriere die schule geschmissen hat.
fast mexico
wir sind heute mit jared verabredet. er hat die umwelt- bzw. wasserschutz-organisation „below the surface“ ins leben gerufen. er erzählt uns von seiner zusammenarbeit mit der surfrider foundation und seinem plan, die menschen über die verschmutzung der gewässer aufzuklären. mit seinem „90 day plan“ unterrichtet er an schulen den verantwortungsvollen umgang mit ressourcen. 90 tage braucht das wasser im mississippi von der quelle bis ins meer. 90 schritte brauchen wir für eine bessere, saubere umwelt. hier an der grenze können wir nicht surfen, meint er. alles verpestet.
schade, finden wir und erinnern uns daran, nicht immer auf einweg-geschirr verzichtet zu haben. „let´s work on it“.
am strand steht ein riesiger grenzzaun. „aber nehmt nichts entgegen durch den grenzzaun. und nicht mit den mexikanern reden…“ raunt uns die grenzpatrouille an… „und nicht füttern“ sagt annette. drohnen dröhnen ganz weit oben über uns, als wir zu fuss die mexikanische grenze anpeilen.
ocean beach
wir müssen mehr surfen. ab san diego ist das wasser wieder sauberer. heute sind wir schon vor sonnenaufgang nach ocean beach gefahren. trotzdem waren wir nicht die ersten, obwohl es noch stockdüster war! hier wohnen hippies am strand, frühstücken alle surfer, ob jung oder alt zusammen im newbreak cafe. kaffee flatrate und „homemade muffins“, paradiesische zustände. morgen geht´s nach encinitas.
…die mattson 2 haben auf unsere ausführliche „bitte-bitte-email“ geantwortet. „kommt doch einfach bei uns zu hause vorbei. dann geben wir euch ein hauskonzert!…“. achso, wenn das so einfach ist.
ich bin jetzt echt kein jazz-freund. dachte ich. was die brüder in ihrem gäste-schlafzimmer losbrechen ist aber anders. eine retrospektive klangwellenflut unerwarteter intensität verschlägt uns die sprache. und das in ringelsocken! kein wunder, dass thomas campbell sie in höchsten tönen lobt! die beiden haben schnell unser herz erobert. ab jetzt wollen wir sparen, um sie zu uns nach berlin einzuladen. der verzerrer lässt die wände beben, der nachmittag rast vorbei.
ihre eltern kommen nach hause, mutti hat fertige brathähnchen dabei und läd uns zum essen ein. schon wieder eine einladung. auf dem rückweg geht es jetzt erst mal bergab. bis cardiff. 30 minuten? lass rollern, annette!
san clemente
die idee, mit unseren gesammelten kalifornischen lieblingsfarben ein surfboard zu gestalten, kam uns vorgestern unterwegs so nebenbei. annette hat dann einfach mal bei bill stewart angefragt, ob so etwas möglich wäre. die beiden verstehen sich gut, das könnte also klappen.
bill stewart selber hat heute eigenhändig für uns unser neues board geshaped. kaum zu fassen. weniger als eine stunde hat er gebraucht, um das brett vollkommen freihändig aus dem dicken blank zu formen.
san onofre
scheinbar hat sich bei bill in der werkstatt rumgesprochen, dass das deutsche kamerateam dabei ist. der shaper timmy patterson, einige mitarbeiter der surfrider foundation und sogar lulu erkeneff sind gekommen, um mit uns surfen zu gehen…
die kalifornische altersklassen-meisterin verschlägt uns den atem, lulu surft unfassbar gut. und das, obwohl die wellen im gegensatz zu ihr mittlerweile ziemlich schlecht aussehen. mit ihren zarten 15 jahren zeigt sie den jungen herren bei „old mans“ wie die frau von heute longboard surft.
die letzten tage sind so schnell verflogen. morgen sind wir noch in el segundo bei tyler hatzikian verabredet, gehen noch mit zwei jungs zum dirttrack-downhill. dann werden die rikschas demontiert und kommen in den flieger… kalifornien muss nun mindestens ein halbes jahr ohne uns auskommen…
a und o: schlauer heim.
7 wochen kalifornien. kilometer? vergessen zu zählen. surf? meistens gut, trotzdem viel zu wenig. gefilmt werden schlaucht. beide sind wir ein paar kilos leichter und drei sonnenbrände älter. und schlauer. die klischees sind verschwunden, denn die kalifornier sind nicht oberflächlich. sie sind schlicht und einfach offener. neugieriger und direkter als wir deutschen sie erwarten. sie wollen reden und sich mitteilen. das erleichterte unsere recherche und die fragerei nach den lieblingsfarben. niemals hätten wir damit gerechnet, dabei so viele unfassbar nette leute zu treffen und kennen zu lernen. wir müssen wiederkommen, das steht fest. spätestens im frühling 2012, wenn das skateboarden 51 wird. grund genug!
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die asphaltsurfer
c 2011 3sat
produktion: monstamovies
regie: lutz neumann
kamera: sabine streckhart
wichtige info: nein, wir sind nicht die komplette strecke durchgefahren. wer zum ersten mal eine long distance tour in dieser grössenordnung unternehmen möchte, kann uns gerne kontaktieren und um rat fragen. us@langbrett.com
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